
Corona – und nun?
Es wird angestrebt, dass die Jugendlichen ihre Ziele verfolgen, in der Regel in ein selbständiges Leben übergehen und sich auch einen Sozialraum außerhalb der WG aufbauen – sei es durch Vereine, Freundschaften, Schule und insbesondere auch die Stabilisierung des Familiensystem´s. Gleichzeitig geht es um Praktika, Ausbildungssuche und Probearbeiten.
Die Jugendwohnung ist keine familienersetzende Wohngruppe.
Doch dann kam Corona.
Sowohl die Jugendlichen, als auch wir ErzieherInnen standen in kurzer Zeit vor großen Herausforderungen.
Die Schulen haben geschlossen, soziale Kontakte sollen gemieden werden, Vereine stellen ihren Betrieb ein, Heimfahrten können nicht mehr über die Wochenenden stattfinden, die erste große Liebe nicht mehr so oft gesehen – die Jugendwohnung wird der einzige Mittelpunkt im Leben der Jugendlichen und das von jetzt auf gleich.
Wie kann man nun damit umgehen?Schon zu Beginn der Krise war klar – sowohl der Schutz der Jugendlichen, als auch der MitarbeiterInnen steht an oberster Stelle.
In einem Gruppenabend wurde als Einleitung die erste Ansprache von Angela Merkel gezeigt. Diese wurde mit den Jugendlichen diskutiert und reflektiert. Im zweiten Schritt wurden die Aufforderungen der Regierung auf die Gruppe übertragen. Gemeinsam mit den Jugendlichen wurde eine Tagesstruktur entwickelt. Gleichzeitig wurde mit der Gruppe über die Ängste und Sorgen gesprochen. Ebenso das Thema „Tod“ rückte in den Fokus.
Ganz praxisnah das Ergebnis für den Tagesablauf:
Gemeinsames Frühstück – Jugendlicher, welcher an dem Tag Kochdienst hat, ist morgens mit dem diensthabenden Erzieher für das Frühstück zuständig
Schule: Alle Jugendlichen müssen bis 13.00 Uhr ihre Schulaufgaben bearbeiten
Sauberkeit: Jeden Tag müssen alle Zimmer gereinigt und desinfiziert werden – ebenso die anderen Räumlichkeiten der Jugendwohnung
Mittags: Individuelles Programm der ErzieherInnen
Ganzer Tag: Angeordnete Hygienemaßnahmen, nach dem Infektionsschutzgesetz
Soweit so gut – der Rahmen stand.
Schon nach ein paar Tagen wurden die Richtlinien der Regierung weiter verschärft und somit auch die Regeln in der Jugendwohnung.
Gruppendynamisch sorgt dies für stetige Herausforderung. Absolute Präsenz, als auch Deeskalation sind an der Tagesordnung. Gleichzeitig bieten wir unseren Jugendlichen viel Raum für Reflexion und Emotionen, sowohl in der Gruppe, als auch im Einzelsetting.
Damit die Jugendlichen auch etwas Anderes als Durmersheimsehen, entschlossen wir uns dazu, dass die Bezugserziehergespräche mit den Mädchen und Jungs draußen stattfinden. Es wird gemeinsam mit dem Jugendlichen ein schöner Ort ausgesucht, zu welchem die BezugerzieherInnenmit ihm fahren.
Unter anderem das Alte Schloß in Baden- Baden, der Mummelsee oder an den Rhein. Es ist wichtig, dass die jungen Menschen diese Zeit ungestört mit ihrem BezugserzieherInnutzen können und es ganz alleine um sie selbst und die Sorgen, Ängste und Frustration geht. Gleichzeitig schaffen wir in diesen Gesprächen wieder eine Vision und holen die Ziele in den Fokus – denn Corona ist nicht für immer.
Im Gruppenkontext wird in der allabendlichen Reflexionsrunde der Tag reflektiert. Hierbei werden besonders schöne Momente, als auch mögliche Probleme dargelegt und gemeinsam bearbeitet. Es zeigte sich schnell, dass dies von den Jugendlichen gut angenommen wird. Des Weiteren wird in diesem Rahmen auch über die aktuelle Lage in Deutschland und die täglichen Neuigkeiten gesprochen.
Sowohl das Einzel- als auch das Gruppensetting sind momentan von enormer Wichtigkeit, da sich schnell Aggressionen, Unsicherheit und Sorgen anstauen können, die kleine Situationen schon zum Eskalieren bringen könnten.Ebenso ist es für uns SozialpädagogInnen eine ständige Reflexion. Wo stehen wir gerade? Welche Sorgen und Ängste tragen wir in uns und äußern diese vielleicht auch non verbal?
Gleichzeitig leisten die Jugendlichen in dieser außergewöhnlichen Situation ungemein viel. Themen wie Respekt, Rücksichtnahme, Fürsorge, Verzicht und Zusammenhalt spielen auf einmal eine enorm große Rolle. Viele dieser Aspekte sind Bereiche, in welchen Einzelne noch nicht gefestigt sind und stellenweise auch nicht kennen. Nun wird dies von ihnen aber abverlangt und das auch noch in einer größeren Gruppe. Gleichzeitig kommt es durch die momentanen Regeln der Regierung zu einem Eingriff in ihre Integrität. Dass es hierbei zu Überforderungen kommt, ist verständlich – würde es uns denn anders gehen?
Ihnen ihre Leistung vor Augen zu halten und somit auch eine große Wertschätzung entgegen zu bringen, hat eine große Bedeutung.
Für die Aktivitäten am Nachmittag überlegten wir uns, dass einzelne Jugendliche mit bestimmten Projekten betraut werden und somit auch (mit Unterstützung der ErzieherInnen) Projektleiter. Dies sorgt dafür, dass die Jugendlichen Verantwortung übernehmen und auch weiterhin spüren, dass ihr Tun eine hohe Wichtigkeit hat. Ebenso ihr Umgang mit sich selbst- diese Art von Quarantäne kann die jungen Menschen auch dazu einladen, weniger auf sich zu achten. Uns ist es wichtig, dass sie nicht nur mit den Anderen, sondern auch mit sich selbst respektvoll umgehen.
Neben Kunstprojekten, wird mit den Jugendlichen ein Hochbeet gebaut und Möbel aus Paletten. Des Weiteren werden verschiedene Sportangebote und kosmetische Einheiten stattfinden. Auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten, wie Backen und besondere Dinge kochen, werden nicht zu kurz kommen.
Des Weiteren soll im ersten Stockwerk eine Fotocollage mit Sorgen und Wünschen entstehen.
Auch bei den Projekten war es für uns wichtig Ideen von den Jugendlichen miteinzuholen und sie an der Planung mit teilhaben zu lassen.
Es geht um die Jugendlichen – um die Jugendwohnung- um ein „uns“.
Abschließend kann ich sagen, dass wir auf unsere Jugendlichen sehr stolz sind, wie sie die Situation bisher meistern. Ebenso danken wir den Eltern, dass sie uns das Vertrauen schenken, dass wir vor allem auch in dieser Zeit auf ihre Kinder Acht geben.
Die Krise wird uns stetig für neue unbekannte Herausforderungen stellen, welche wir nicht bedenken und die sich dann wieder im Alltag herausstellen. Wichtig hierbei ist, dass es gemeinsam zu schaffen ist und es immer wieder neue Ideen geben wird. Für solch ein Denken steht die Jugendwohnung – „Kühe auch mal fliegen lassen“.
Elisa Calabrese
Teamleiterin von Durmersheim